Der Zins ist der Preis fürs Geld. Wenn etwas knapp ist, steigt der Preis. Normalerweise ist Geld knapp. Aber normal sind diese Zeiten nicht. Schon seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 stellen die Notenbanken viel billiges Geld zur Verfügung. Auch in ihrer jüngsten Sitzung, am 5. Juni, hat die Europäische Zentralbank, kurz EZB, ein ganzes Maßnahmenbündel beschlossen, um den Geschäftsbanken Geld zu verschaffen.
Die Versorgung der Kreditinstitute mit Geld ist die ureigenste Aufgabe einer Zentralbank – insofern nichts Besonderes. Geschäftsbanken leihen sich Geld, das sie als Kredit vergeben, bei den Notenbanken. Deshalb spricht man von Refinanzierung. Gerade diese Stellung als „Bank der Banken“ verschafft einer Zentralbank die Möglichkeit, die Geldversorgung der Wirtschaft zu beeinflussen. Wenn Inflation droht, soll die Notenbank die Geldversorgung verringern und die Zinsen erhöhen. Dadurch wird Geld knapper und Inflation bekämpft. Umgekehrt können Notenbanken mit großzügiger Geldversorgung zu niedrigen Zinsen die Kreditvergabe der Geschäftsbanken erleichtern und damit zu Belebung der Wirtschaft beitragen. Soweit die Theorie.
In der Praxis hat man die Zinsen schon fast auf null gesenkt. und den Geschäftsbanken mehr Geld denn je zuvor zur Verfügung gestellt. Tatsächlich hat dies maßgeblich dazu beigetragen, nach 2007 zunächst den Kollaps des Bankensystems und ab 2010 den Zusammenbruch der überschuldeten Staatshaushalte zu verhindern. Doch trotz Zinsen nahe Null sind die Wirkungen auf die Konjunktur in der Eurozone hinter den Hoffnungen zurückgeblieben. Offenbar kommen zu wenige der günstigen Kreditmöglichkeiten bei den Unternehmen an. Diese Kreditklemme scheint es insbesondere in den Mittelmeerländern der Eurozone zu geben.
Von den im Juni beschlossenen Maßnahmen verspricht man sich eine Belebung der Kreditvergabe. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde von 0,25 auf 0,15 Prozent gesenkt. Und die EZB kündigte an, die Hauptrefinanzierungsgeschäfte mindestens bis Ende 2016 weiterhin zum Festzins durzuführen und voll zuzuteilen. Normalerweise beschränkt die Notenbank das Volumen dieser Geschäfte und lässt die Banken um eine höhere Zuteilung bieten. Wenn die Geschäftsbanken heute schon damit rechnen können, bei den Hauptrefinanzierungs-geschäften jeweils den gewünschten Betrag erhalten zu können ohne höhere Zinsen bieten zu müssen, wird das ihre Bereitschaft, Kredite zu vergeben, erhöhen.
Dazu dürften auch die anderen Maßnahmen der EZB beitragen. Der erstmals negative Einlagezinssatz von 0,1 Prozent macht es unattraktiv, Euro-Guthaben bei der Zentralbank zu parken. Die Zinssenkung bei der Spitzenrefinanzierung von 0,75 auf 0,4 Prozent hat schon zu einem Absinken der Zinsen am Geldmarkt der Banken geführt. Doch die EZB stellt indirekt auch Geld für längerfristige Kreditvergaben zur Verfügung. Banken, die Kredite vergeben, können sich das Geld dafür mit Laufzeiten bis September 2018 bei der EZB leihen.
Die EZB hat abermals mit diesem Maßnahmenbündel einen Beitrag zur Konjunkturbelebung geleistet. Jetzt stehen umso mehr die nationalen Regierungen in der Pflicht, die Rahmenbedingungen zu verbessern.